Kann ein Mann „überwiegend“ heterosexuell sein? Diese Frage, die an sich ja schon eigenartig formuliert ist, stellte sich „Ritch C. Savin-Williams. Der Herr ist Professor für Entwicklungspsychologie an der Universität in Cornell und hat nun ein Buch zu diesem Thema veröffentlicht.
Sein Werk trägt den Namen „Mostly Straight: Sexual Fluidity Among Gay Men“. Darin untersucht er den fließenden Übergang zwischen verschiedenen sexuellen Orientierungen. Wie kann also ein Mann nur „meistens“ heterosexuell sein und nicht immer oder gar nicht? In einem Artikel von Savin-Williams, der in der TIME erschienen ist, erklärt er: “Die Beweise deuten darauf hin, dass sich mehr junge Männer als „überwiegend hetero“ bezeichnen, anstatt als bisexuell oder homosexuell“. Dabei beruft er sich auf eine Umfrage, die von 2011 – 2013 durchgeführt wurde. Dabei kam heraus, dass sich 6 % der Männer zwischen 18 – 24 Jahren „meist“ zum anderen Geschlecht hingezogen fühlen. Auf die Frage, ob sie sich als „hetero“, „bisexuell“ oder „homosexuell“ beschreiben würden, gaben Dreiviertel an, dass sie sich dennoch als „heterosexuell“ beschreiben, da „bi“ zu schwul kling, um sie richtig zu beschreiben.
Die „Mostly Straight“-Männer gehören zu einem zunehmenden Trend
Also scheint es hier bei den jungen Männer vor allem um die Beschreibung zu gehen und da wird ganz schnell klar, dass das Wort „Gay“ anscheinend immer noch einen großen negativen Beigeschmack hat. Savin-Williams erklärt es so: „Die „Mostly Straight“-Männer gehören zu einem zunehmenden Trend unter jungen Männern, die sich in ihrer Heterosexualität sicher sind, aber es nicht ausschließen Erfahrungen darüber hinaus zu machen…Vielleicht het er mit jemanden rumgemacht oder hatte etwas mit einem Freund. Er ist vielleicht an männlichen Gruppen-Masturbationen beteiligt oder lässt Oralverkehr an sich ausüben von einem attraktiven Typen, den er eben erst getroffen hat. Aber es ist eher unwahrscheinlich, dass er penetrativen Sex mit einem Mann haben wird, auch wenn er das vielleicht möchte und die richtigen Umstände gegeben sind. Er ist vielleicht auch intensiv in einem Mann verknallt. Aber sich leidenschaftlich in einen Mann zu verlieben, ist zu viel für ihn, auch wenn er vielleicht starke Gefühle hat und mit seinem besten Freund gerne kuschelt“.
Ähnliche Ergebnisse gab es auch schon in vorherigen Studien
Generell ergab die Studie, dass nur 5 – 10 % der Gefühle für das gleiche Geschlecht bei diesen Männern vorhanden sind, während sie doch zu 90 – 95 % auf das weibliche Geschlecht stehen. So kann man diese Männer, laut Savin-Williams, eher in eine Unterkategorie der „Heteros“ zählen, als der „Bisexuellen“. Damit gehen seine Ansichten und Ergebnisse auch in eine ähnliche Richtung, wie die von Jane Ward in 2015 und ihrem Buch „Not Gay: Sex Between Straight White Men“, die ebenfalls behauptet, dass heterosexuelle Männer von Zeit zu Zeit homosexuelle Vorlieben ausleben können, ohne sich als solche zu bezeichnen oder zu sehen.
Es ist ein kompliziertes Thema und auch die Arbeit mit den Befragten ist natürlich immer fragwürdig. Wer sagt die Wahrheit und wer glaubt, dass er die Wahrheit sagt, ohne zu merken, dass er sich selbst belügt? Wer wäre komplett schwul, wenn er es könnte und wer hat wirklich nur 5 – 10 % Lust auf andere Männer?
Generell sollten wir durch solche Studien und Bücher doch eigentlich merken, dass unsere ganzen Labels und Schubladen abgeschafft werden müssen. Wir sind alle einfach „Sexuell“, würde ich sagen, und das kann in alle Formen gehen und so individuell sein, wie jeder Mensch selbst.
Das Buch Mostly Straight: Sexual Fluidity Among Gay Men, ist über die „Harvard University Press“ verfügbar.
Bild: Big Brother UK