Der Club ist voller hübscher Männer, potentieller Liebhaber oder sogar dem Mann für´s Leben. Doch dazu wird es sicherlich auch heute Abend nicht kommen. Die Suche nach dem Richtigen ist so deprimierend, wie der volle Speicher an Männern, die sich auf deiner Lebensfestplatte angesammelt haben und dafür sorgen, dass dein Betriebssystem immer langsamer läuft. Ja, es ist ab einem gewissen Punkt ermüdend den richtigen Partner zu suchen und das liegt u.a. daran, dass wir alle abgestumpft sind, ohne es wirklich zu merken.
Es ist Wochenende und man zieht los. In eine Bar, in einen Club oder auf ein großes schwules Event. Man will wieder etwas „Echtes“ erleben und wie früher auf echte Menschen treffen und flirten. Grindr hat man immerhin schon unter der Woche durch und es sind doch eh immer die selben Männer im Umkreis. Ja, ein Wisch mit dem Daumen und schon ist einer eliminiert und der nächste Anwärter wird durchleuchtet bevor der Daumen nach nur einem Bruchteil einer Sekunde auch diesen virtuell den Korb gibt. So blättern wir uns durch eine Vielzahl an Männern in kurzer Zeit, als wären es Artikel in einem Onlineshop, weil wir ständig dem Glauben unterliegen, dass etwas Besseres im nächsten Schritt auf uns wartet.
Zu viele Männer in zu kurzer Zeit
Das ist ein neues Phänomen, das durch das digitale Zeitalter entstanden ist und um das zu verstehen, muss man sich nur einmal in der Zeit zurückversetzten. Man konnte sich damals nicht unendlich viele Männer auf einer App mit diversen privaten Angaben und oben-ohne Selfies ansehen. Es war aufregend überhaupt einen anderen schwulen Mann nackt und in echt irgendwo zu begegnen. Für eine Wichsvorlage musste man in einen Laden und sich eine Zeitschrift mit entsprechendem Inhalt kaufen oder jemanden losschicken, der sich traute, sie zu kaufen und dem Kassierer dabei in die Augen zu sehen. Der Aufwand, um nur visuell sexuellen Inhalt in jeglicher Form zu erleben, war größer und die Auswahl kleiner, wodurch man sich mit dem, was man hatte, zufrieden geben musste.
Heute kann man sich in wenigen Sekunden durch die härtesten Pornos for free im Netz surfen und das so oft und lange wie man will. Über die unendliche Auswahl brauchen wir nicht einmal reden. Auf unseren Handys sehen wir Millionen halb nackte Männern und sehen somit auch, was geht und vor allem, was besser geht oder eben nicht geht. Kein Mann hat vor 30 Jahren so viele andere schwule Männer gesehen und durchleuchtet, wie wir das täglich auf Grindr, Instagram oder Facebook tun. Wir haben eine virtuelle Weltreise durch jedes Wohnzimmer gemacht und durften in das Intimste gucken. Was bleibt ist eine imaginäre Vorstellung des Traummannes, die sich aus allen Bruchteilen dessen zusammensetzt, was wir virtuell gesehen haben. Doch vor allem neigen wir dazu anzunehmen, dass in jeder Ecke etwas Besseres auf uns wartet.
Wir verhalten uns wie Kinder
Das virtuelle Verhalten adaptieren wir unbewusst in unser Verhaltensmuster der realen Welt und stumpfen in unserem Umgang mit potentiellen Partnern beim Flirten ab. Kaum ein Gespräch auf einer Party hält wirklich lange, denn es könnte ja gleich etwas Besseres um´s Eck kommen. Der Daumen wischt auch in der realen Welt zumindest im Hinterkopf mit und ist gnadenlos, denn wir haben ja schon viel gesehen. Wir haben den Vergleich und die Messlatte ist hoch, wenn man soviel gesehen hat. Es ist frustrierend für alle Seiten. Wir werden mit jedem Misserfolg in der Liebe vorsichtiger, gehen die Sache langsamer an oder stürzen uns aus Frust zu schnell hinein, weil ja eh nichts draus werden wird. Wie stumpf der schwule Mann in dieser Sache geworden ist, ist erschreckend, aber eine logische Folge durch den Umgang mit den neuen Medien. Wir haben uns dabei nicht weiterentwickelt, sondern sind emotional verkrüppelt.
Im Grunde handeln wir wie Kinder. Wenn ein Kind auf ein Spielzeug ewig warten muss, darauf hinarbeiten oder sparen muss, weiß es das mehr zu schätzen, als ein Kind, dass alles sofort bekommt. Nach wenigen Minuten ist das neue Spielzeug langweilig und liegt in der Ecke, denn es gibt ein Besseres, das auf Wunsch auch gleich da sein kann. Wir verhalten uns wie Kinder. Nicht einmal mehr das Flirten macht Spaß. Alle schwirren wie beim Speed-Dating von einem Gespräch in das nächste und am Ende passiert aus Frust genau das, was keiner will, der auf der Suche nach einer Beziehung ist: man landet mit dem Nächstbesten im Bett, denn man hat so oft mit dem virtuellen Daumen „weitergewischt“, bis kaum noch Auswahl übrig geblieben ist. Ein Teufelskreis, der sich auf Grindr und Co. wenige Tage später fortsetzen wird.
Wir verkaufen uns gut, haben die richtigen Posen drauf und vermeiden es, negative Eigenschaften zu zeigen. Diese lassen sich nunmal schlecht verkaufen, aber das ist die Realität. Keiner ist so, wie sein virtuelles Ebenbild, denn das ist nur, wer wir sein wollen, um zu gefallen. Vielleicht müssen wir einfach aufhören das Produkt mit der schönsten Verpackung zu kaufen, sondern anfangen auch mal die Inhaltsstoffe auf der Rückseite zu lesen. Vielleicht müssen wir nach links und rechts gucken oder nach unten. Unten liegen doch angeblich immer die günstigsten Produkte und wir wissen alle, dass die Meisten davon genauso gut sind, wie die teuren. Man muss sie eben nur finden und man muss sich die Zeit nehmen, die Inhaltsstoffe zu erforschen, denn das kann keine App.